KONZERT 5: Paulus

Beitrag veröffentlicht am
Konzert 5
Konzert 5

Wo anfangen, um Mendelssohns Paulus in ein paar Worten vorzustellen? – Vielleicht gleich bei der Hauptperson selbst: Paulus von Tarsus, der hochgebildete Jude mit römischem Bürgerrecht, der hebräisch Scha’ul, latinisiert: Saulus, hieß und die Anhänger Jesu Christi zunächst brutal verfolgte. Nach einem Erweckungserlebnis ließ er sich taufen, und wurde als Paulus einer der bedeutendsten und weitgereisten Missionare der Lehre Christi. Er gründete einige christliche Gemeinden und blieb mit ihnen in Briefkontakt – diese Briefe bilden heute einen wesentlichen Teil des Neuen Testaments.
 

Der Auftrag für ein Oratorium

Als Felix Mendelssohn 21jährig vom Frankfurter Cäcilienchor-Verein den Auftrag für ein Oratorium bekam, dachte er sofort an die Geschichte des Paulus. Das war 1831. Die Familie Mendelssohn war zum Christentum konvertiert, als Felix und seine Geschwister noch Kinder waren, für die Eltern war dies ein wichtiger Schritt gewesen – nach außen hin zu sehen am zusätzlichen Namen Bartholdy. Die Beschäftigung mit der protestantischen geistlichen Musik eines J. S. Bach oder G. F. Händel hatten Mutter und Großmutter gefördert, so dass er – noch nicht einmal 20 Jahre alt – mit einem eigens dafür gegründeten Chor Bachs Matthäuspassion nach 100 Jahren Vergessenheit wieder aufführte. „Was ist das für ein wunderlicher Zufall, dass es ein Judenjunge sein muss, der den Leuten die größte christliche Musik wiederbringt“, wird Mendelssohn nach dem großen Erfolg dieser Aufführung zitiert.

Das Werk

Nun also dieser Auftrag, selbst ein Oratorium zu schreiben. Der Protagonist Paulus war klar, und gemeinsam mit seinem Jugendfreund Julius Schubring, einem Theologen, wurde der Text aus Bibelzitaten und Gesangsbuch-Chorälen zusammengesetzt. Die Uraufführung fand am Pfingstsonntag 1836 in Düsseldorf statt. In der Zwischenzeit hatte der junge Felix einige Symphonien, Ouvertüren, Konzerte, Lieder und vieles mehr geschrieben, war auf Reisen gewesen, und hatte schon einige wichtige Musikposten in Deutschland inne. Der Paulus brachte ihm aber auf einen Schlag internationale Anerkennung, er wurde nämlich innerhalb von 1 1/2 Jahren über 50 Mal aufgeführt, nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und Amerika. Das zweite Oratorium Elias überflügelte den Paulus dann zehn Jahre später sogar noch und wird heute häufiger aufgeführt, doch zu Mendelssohns Lebzeiten blieb Paulus sein beliebtestes Werk.

Handlung

Mendelssohn wählte gezielt die Szenen aus, die er in den Paulus hineinnehmen wollte. Im ersten Teil befinden sich die Zuhörer|innen gleich nach den einleitenden Chören mitten in den dramatischen Szenen rund um die Steinigung des Christen Stephanus, an der wohl auch Saulus teilnimmt. Trotz Stephanus‘ markerschütternden Rede fordert die aufgebrachte Menge: „Steiniget ihn!“, und er stirbt als Märtyrer. Saulus wütet unter der christlichen Gemeinde, singt voll Zorn: „Vertilge sie, Herr Zebaoth“ und begibt sich auf den Weg nach Damaskus, um weitere Christen zu vernichten. Da erscheint ihm Jesus in gleißendem Licht und spricht ihn an, musikalisch ausgedrückt durch ätherische Frauenstimmen. Saulus ist erblindet, seine Gefährten bringen ihn nach Damaskus, wo er mit sich und seiner Berufung kämpft. Erst als der Christ Ananias ihm die Hände auflegt, weicht die Blindheit: Saulus lässt sich taufen und der Choral „O welch eine Tiefe“ bekräftigt seine innere Wandlung und schließt den ersten Teil.

Der zweite Teil erzählt von den Missionsreisen des Paulus und seines Gefährten Barnabas. Doch wiewohl er einige christliche Gemeinden gründen kann, so gibt es doch viele Gegner. Wir hören Paulus predigen, doch findet er sich immer mehr in der Situation wieder, in der Stephanus zu Beginn des Werks war. Der Zorn des Volkes gegen Paulus wächst und er nimmt in einer ergreifenden Szene Abschied von seiner Gemeinde. Im Schlusschor „Nicht aber ihm allein, sondern allen, die seine Erscheinung lieben“ wird deutlich, was Mendelssohn davor mit „Wir glauben all an einen Gott“ schon betont hat: eine Versöhnung zwischen Christen und Juden soll möglich sein.

Handelnde Personen

Die Haupthandlung wird von Tenor und Sopran in Rezitativen – also in erzählendem Gesang – vorgetragen. Der Tenor übernimmt auch einige weitere Personen; betrachtende Arien sind für alle Solist|innen geschrieben, Paulus aber wird ausschließlich vom Bass verkörpert. Einen großen Beitrag am Geschehen hat der Chor, der in die verschiedensten Rollen schlüpft: neben den Chorälen als Ruhepunkten agiert er als Volksmenge in unterschiedlichen Gemütslagen, hat erzählende und reflektierende Partien zu erfüllen – ein echtes Chor-Oratorium!

Die Anlehnung an Mendelssohns Vorbilder Bach und Händel sind im Paulus unüberhörbar. Vor allem die damals umstrittene Idee, an einigen Stellen Choräle in Bach’scher Manier einzubauen, zeugen von seiner Bach-Verehrung. Mendelssohn verbindet nun „Altes“ und „Neues“ nicht nur mit Chorälen sondern auch mit Chorfugen im Stil der alten Meister und mit neuer, romantischer Klanglichkeit.

„Es ist der Paulus ein Werk der reinsten Art, eines des Friedens und der Liebe“, sagte Robert Schumann, der ein großer Bewunderer Mendelssohns war. – Wir brauchen mehr Werke dieser Art!